Händigkeit bei Musikern
Fragestellung
Training am Instrument spielt für Musiker eine bedeutsame Rolle in der Professionalisierung. Offen bleibt jedoch, warum manche professionellen Musiker überdurchschnittlich gut werden, andere dagegen nicht. In mehreren Studien untersuchen wir, ob und wie die Leistung am Instrument durch den zerebralen Lateralisierungsgrad (gemessen durch Handleistungsdifferenzen) beeinflusst wird. Wir vermuten, dass eine weniger stark ausgeprägte Lateralisierung des Gehirns (und damit eine höhere Bilateralität bzw. eine geringere hemisphärische Dominanz) bei Musikern zu finden ist. Eine geringer ausgeprägte Lateralisierung könnte bei bimanuell gespielten Instrumenten (z.B. beim Klavier) einen Leistungsvorteil bedeuten.
Hintergrund
Theoretischer Hintergrund der Studie ist die sogenannte "Right-Shift"-Theorie von Marian Annett, die vorhersagt, dass es – entgegen der alltagspsychologischen Beobachtung – keine geborenen Linkshänder, sondern nur (genetische) Rechtshänder und Nicht-Rechtshänder gibt. Ob sich aus Nicht-Rechtshändern Linkshänder oder Beidhänder entwickeln, hängt von Faktoren wie Zufall oder sozialem Verhaltensdruck ab. Für die Entstehung von Händigkeit gibt es also eine genetische und eine Trainingskomponente, deren Verhältnis zueinander in der Forschung bisher nicht restlos aufgeklärt wurde. Nicht-Musiker-Rechtshänder sind durch eine mehr oder weniger ausgeprägte, leichte linkshändige-„Behinderung“ charakterisiert. In der Population der Musiker ist eine weitgehende Leistungsbalance zwischen den Händen eine vorteilhafte Voraussetzung, doch gibt es bisher keine Forschung zur Frage, inwieweit genetische Handleistungsdifferenzen durch intensives Training ausgeglichen werden können bzw. wie invariant Händigkeit gegenüber dem Training ist.
Methode
Methodisch wird Lateralität traditionell über Händigkeits-Fragebögen erfasst. Jedoch ist diese Methode nicht trennscharf genug um die sogenannte "wahre" oder "genetische" Händigkeit zu ermitteln; man kann die Gruppe der Rechtshänder nicht von derjenigen der rechtspräferierten Beidhänder trennen. Deshalb operationalisieren wir Lateralität in Übereinstimmung mit anderen Autoren durch Tests zu Handleistungsunterschieden (z. B. Geschwindigkeitsklopfen, sog. "Speed Tapping"). Wir vergleichen die Tappingleistung beider Hände bei professionellen Instrumentalisten verschiedener Instrumentengruppen (Klavier und Streicher).
Ergebnisse
Zur Zeit liegen umfangreiche Händigkeitsdatensätze für 128 professionelle Musiker (Musikstudenten) und mehr als 1500 Nicht-Musikern vor (Quellen s. u.). Die drei umfangreichen Teilstudien ergaben folgende Ergebnisse:
▪ In ausgewählten musikalischen Teilleistungen (z. B. Vomblattspiel) erzielen Beidhänder gegenüber Rechtshänder eine um ca. 20% höhere Performanz.
▪ Der Anteil der sogen. "designierten" (genetischen) Nicht-Rechtshänder (phänotypischen Linskhänder) liegt in der Musikstudenten-Population bei 30,8% gegenüber 21,7% in einer altersgematchten Vergleichsgruppe. Große Unterschiede finden sich zwischen verschiedenen Instrumentengruppen: bei Pianisten ist der Anteil der Nicht-Rechtshänder 27,1% und bei Streichern 35,6%. Damit liegt der Anteil der Nicht-Rechtshänder bei den Musikern erheblich höher als bei der Normalbevölkerung.
▪ Es fand sich kein Hinweis auf eine negative Beeinflussung des subjektiven Wohlbefindens am Instrument durch das Spiel von Nicht-Rechtshändern auf Rechtshänder-Instrumenten. Auch bei objektiven Leistungsaufgaben (Tonleiterspiel auf dem Klavier, mit Analyse der Regelmäßigkeit) waren Nicht-Rechtshänder nicht benachteiligt. Überraschenderweise war die rechte Hand bei Pianisten unabhängig von der Händigkeit immer die leistungsstärkere. Wir führen dies auf intensive Trainingseffekte durch langjähriges Üben zurück.
Relevanz der Fragestellung für die Instrumentalpädagogik Die Frage der Beeinflussung von Lateralität durch intensives bimanuelles Training ist für die aktuelle Diskussion in der Streicherpädagogik, ob Nicht-Rechtshänder links streichen sollen, von Bedeutung. Bevor eine solch folgenreiche Entscheidung über die Haltung eines Streichinstrumentes getroffen werden kann, wollen wir mit unsereren Studien zunächst die neuropsychologischen Grundlagen für die Diagnose und die Frage der Veränderbarkeit von Händigkeit (als einer Form von Lateralität) durch bimanuelles Taining liefern. Aus momentaner Sicht gibt es keine Hinweise auf einen negativen Einfluss der Händigkeit auf das instrumentale Leistungsvermögen, z.B. durch das rechtshändige Spiel bei Nicht-Rechtshändern. Trainingseffekte kompensieren vielmehr evtl. vorhandene Leistungsunterschiede zwischen den Händen. Solange keine Langzeitdaten über den Einfluss der Händigkeit auf die Entwicklung der instrumentalen Performanz vorliegen, wird deshalb von vorschnellen pädagogischen Empfehlungen zum Spiel auf speziellen Linkshänder-Instrumenten abgeraten.
Quellen:
Kopiez, R., Galley, N. & Lee, J. I. (2006). The advantage of being non-right-handed: The influence of laterality on a selected musical skill (sight reading achievement). Neuropsychologia, 44(7), 1079-1087.
Kopiez, R., Galley, N., & Lehmann, A.C. (2010). The relation between lateralisation, early start of training, and amount of practice in musicians: A contribution to the problem of handedness classification. Laterality, 15(4), 385-414.
Kopiez, R., Jabusch, H-C., Homann, J.-C., Lehmann, A. C. & Altenmüller, E. (2012). No disadvantage for left-handed musicians: The relationship between handedness, perceived constraints and performance-related skills in string players and pianists. Psychology of Music, 40(3), 357-384.
DRadio Wissen
Pressemitteilung bei Press relations
Pressemitteilung der HMTM
Beitrag bei Deutschland Radio Wissen (22.06.2012):
Wenn die starke Hand mit links musiziert
Direktlink zur mp3
Beitrag bei Radio Berlin Brandenburg:
Wissen: Musik mit links
Deutschlandradio Kultur: Radiofeuilleton Wissenschaft und Technik (01.07.2012):
Rechtshänder geben schneller auf – Linkshänder haben in der Musikausbildung einen ‚Selektionsvorteil’
Direktlink zur mp3
Zuletzt bearbeitet: 11.09.2019
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